Nîmes: das französische Rom

Nîmes, eine bedeutende Stadt im Süden der französischen Region Okzitanien, geht auf die antike Colonia Augusta Nemausus zurück, eine der wohlhabendsten und prächtigsten Städte der römischen Provinz Gallia Narbonensis. Die Stadt bewahrt ein außergewöhnliches Ensemble monumentaler Bauwerke. Zu den bedeutendsten zählen das Maison Carrée, einer der besterhaltenen Tempel des Imperiums, der sogenannte Diana-Tempel, ein Gewölbebau mit bis heute ungeklärter Funktion, sowie der 32 Meter hohe Tour Magne aus gallo-römischer Zeit. Ergänzt werden diese durch archäologische Spuren eines vermuteten Augusteums für den Kaiserkult. Hinzu kommen das eindrucksvolle Amphitheater und die Reste eines Wasserkastells, das das Wasser eines über 50 Kilometer langen Aquädukts aufnahm und verteilte.


Nîmes war für Reisende, die sich auf einer Grand Tour befanden, zwar keine Pflichtstation, aber für Liebhaber antiker Baukunst ein lohnender Umweg. Die Stadt im Süden Frankreichs beeindruckte durch ihre außergewöhnlich gut erhaltenen römischen Monumente – allen voran das Amphitheater, das Maison Carrée und den nahegelegenen Pont du Gard. Vor allem im 18. Jahrhundert nahmen gebildete britische, niederländische oder französische Reisende auf dem Weg nach Italien gelegentlich die südfranzösische Route, um diese Zeugnisse römischer Zivilisation zu bewundern. In manchen Reiseberichten wird Nîmes als „kleines Rom in Gallien“ bezeichnet, ein Ort, an dem sich die gelehrte Beschäftigung mit der Antike perfekt mit der landschaftlichen Schönheit der Provence verband. So wurde Nîmes für einen Teil der Grand-Touristen zu einem geschätzten Zwischenhalt auf dem Weg zu den großen Kulturzentren des Mittelmeerraums.


Die Geschichte der südfranzösischen Stadt Nîmes reicht bis in die keltische Zeit zurück, als der Stamm der Volcae Arecomici im 4. Jahrhundert v. Chr. eine Siedlung namens Nemausus gründete. Das Zentrum bildete eine bis heute fließende Quelle, die von den Kelten als heilige Gottheit verehrt wurde. Auch nach der Unterwerfung der Volcae durch die Römer im 2. Jahrhundert v. Chr. behielt der Ort seinen Namen und eine zentrale Funktion bei.



Einen ersten Aufschwung erlebte die Stadt, als Caesar Veteranen dort ansiedelte. Insbesondere unter den Statthalterschaften des Marcus Vipsanius Agrippa in Gallien konnte die Entwicklung der an der Via Domitia gelegenen Stadt weiter vorangetrieben werden. Die Ansiedlung von Veteranen aus den Kriegen gegen Marcus Antonius und Kleopatra führte zu weiterem Wachstum. 27 v. Chr. erhielt Nemausus den Status einer Colonia. Im Jahr 138 n. Chr. bestieg Antonius Pius, ein Enkel eines Senators aus Nemausus, den Kaiserthron. Elf Jahre später wurde Nemausus wahrscheinlich nach dem Brand von Narbo (Narbonne) neue Hauptstadt der Provinz Gallia Narbonensis.

Während seiner Blütezeit war Nemausus von einer beeindruckenden Stadtmauer umgeben, die etwa sieben Kilometer lang war und zehn Stadttore sowie rund 80 Türme umfasste. Mit einer bebauten Fläche von rund 220 Hektar zählte Nemausus zu den bedeutendsten Städten in Gallien, auch wenn sie nicht zu den allergrößten des Römischen Reiches gehörte. Anders als bei vielen römischen Städten folgte das Straßensystem nicht einem regelmäßigen, schachbrettartigen Grundriss, sondern orientierte sich an einem bereits bestehenden, keltischen Straßennetz. © Bild: Alban-Brice Pimpaud - acheo3d.net: Nîmes antique. Vue du forum et de la Maison Carrée


„Die Einwohner von Nîmes sind halbrömisch, 

denn ihre Stadt liegt ebenfalls auf sieben Hügeln, und die Sonne scheint dort auf schöne Ruinen." 

Jean Reboul


Das Wasserkastell (Castellum Divisorium)

Ein wesentlicher Grund für die Errichtung der Stadt an diesem Ort war eine ergiebige Quelle, die von den keltischen Bewohnern als heilige Quelle verehrt wurde. Da das Quellwasser jedoch nicht konstant genug floss, um den Bedarf der prosperierenden Stadt zu decken, bauten die Römer eine etwa 50 Kilometer lange Wasserleitung, die Nemausus mit Wasser aus der Eure-Quelle in den Hügeln von Uzès versorgte. Zu den technischen Meisterleistungen, die dafür nötig waren, gehört der beeindruckende Pont du Gard – eine dreigeschossige Brücke, die das Aquädukt über den Fluss Gardon führt und mit 49 Metern Höhe das höchste erhaltene römische Aquäduktbauwerk der Welt darstellt. (Mehr dazu hier.)


Das Wasser wurde in einem Wasserkastell, dessen Ruinen heute noch zu besichtigen sind, aufgefangen und von dort weitergeleitet.

Das Castellum Divisorium umfasst ein kreisförmiges Becken mit einem Durchmesser von fast 6 m, das ursprünglich abgedeckt war. Das über den Kanal hereinströmende Wasser wurde mittels Bleirohren in der ganzen Stadt verteilt.
©Bild:
Wikimedia Commons

Das Augusteum

Bereits während der Herrschaft des Kaisers Augustus wurde das ursprünglich als Wasserheiligtum für den einheimischen Gott Nemausus errichtete Heiligtum umgebaut und in ein sogenanntes Augusteum verwandelt. Zwei Inschriften aus dem Jahr 25 v. Chr. belegen diese Umgestaltung. Das Augusteum verband die traditionelle keltische Verehrung mit dem römischen Kaiserkult und symbolisierte so die Integration der lokalen Religion in die römische Herrschaftsstruktur.

Ein zentrales Merkmal des Kaiserkults waren die Kultstätten, in denen der regierende Monarch oder seine Vorgänger verehrt wurden. Für die Anlagen, die zu Ehren Augustus errichtet wurden, sind zwei Bezeichnungen überliefert: templum und aedes. Von Anfang an wurden die Begriffe Caesarium und Augusteum (im Osten des Reiches auch als Sebasteion bekannt) für diese Kultstätten verwendet. In Nîmes wurde das Heiligtum, dessen Zentrum ein Altar bildete, rund um einen kunstvoll eingefassten Brunnen errichtet. © Bild: Alban-Brice Pimpaud - acheo3d.net : Augusteum de Nîmes

Das Augusteum in Nimes ist einer der wenigen Beispiele für eine solche Anlage im Gebiet des westlichen Teils des Römischen Reiches. In den monumentalen U-förmigen Gebäudekomplex, der um den Augustus-Altar und die heilige Quelle errichtet wurde, war ein Theater und ein Bauwerk integriert, das man als Bibliothek deutet. © Bild: Alban-Brice Pimpaud - acheo3d.net : Augusteum de Nîmes

Die „Jardins de la Fontaine“, die bereits im 18. Jahrhundert angelegt wurden und zu den ältesten öffentlichen Parkanlagen dieser Art in Europa zählen, sind ein eindrucksvolles Beispiel für die Integration von Geschichte und Landschaftsgestaltung. In die Parkanlage wurden zahlreiche architektonische Elemente aus der Römerzeit eingebunden, die den Besuchern einen Einblick in die antike Vergangenheit von Nîmes ermöglichen. So lassen sich dort nicht nur die monumentalen Ausmaße des einstigen Augusteums erahnen, sondern auch weitere bedeutende Bauwerke wie der sogenannte „Diana-Tempel“ und der „Tour Magne“ sind in die weitläufige Parklandschaft eingebettet und zeugen von der reichen historischen Bedeutung des Ortes.

Der „Diana-Tempel“

Der sogenannte „Diana-Tempel“ in Nîmes ist ein bemerkenswertes und zugleich rätselhaftes Bauwerk, das Teil des monumentalen Augusteum-Komplexes war. Trotz seines Namens gibt es keine gesicherten Belege dafür, dass der Tempel der Göttin Diana geweiht war; der Name entstand vermutlich erst in späterer Zeit. Archäologische Untersuchungen und die besondere Lage innerhalb des Augusteums lassen vermuten, dass das Gebäude keine typische Kultfunktion als Tempel hatte. Vielmehr sprechen viele Indizien dafür, dass es als Bibliothek oder als eine Art kulturelles Zentrum diente, in dem Schriften aufbewahrt und möglicherweise Vorträge oder Lesungen stattfanden.



Dieses Beispiel verdeutlicht, wie römische Heiligtümer oft über ihre religiöse Funktion hinausgingen und auch kulturelle und bildungsbezogene Zwecke erfüllten. Der „Diana-Tempel“ zeigt, dass der Kaiserkult in Nîmes eng mit der Förderung von Wissen und Kultur verbunden war und damit zur kulturellen Bedeutung der Stadt beitrug.

Innenraum des Diana-Tempels in Nîmes (imaginäre Ansicht), von Hubert Robert (1771). ©Bild: Wikimedia Commons

So könnte der Eingang in den „Diana-Tempel“ ausgesehen haben. © Bild: Alban-Brice Pimpaud - acheo3d.net : Reconstitution du Temple de Diane, d’après Naumann

Der Tour Magne

Der Tour Magne ist ein bedeutendes Wahrzeichen der Stadt Nîmes und das höchste noch erhaltene Monument aus der Antike. Er ist ein massiver Natursteinturm, dessen Kern bereits aus prä-römischer, gallischer Zeit stammt. Dieses ursprüngliche Bauwerk wurde im 3. Jahrhundert v. Chr. errichtet und war etwa 18 Meter hoch. In römischer Zeit integrierten die Römer diesen gallischen Turm in ihre Stadtmauer und verdoppelten seine Höhe auf etwa 32 Meter, um ihre Macht zu demonstrieren. Der Tour Magne erfüllte als Teil der Befestigungsanlagen wichtige Funktionen zur Verteidigung, als Wachturm und möglicherweise auch zur Nachrichtenübermittlung. Von seiner Spitze aus bot er einen weiten Blick über die Stadt und die umliegende Landschaft.


Die „Maison Carrée“

Maison Carrée in Nîmes

Die Maison Carrée in Nîmes ist eines der am vollständigsten erhaltenen Zeugnisse römischer Tempelarchitektur in Europa und stellt ein herausragendes Beispiel klassisch-römischer Architektur dar. Der Name „Maison Carrée“ bedeutet auf Französisch „Quadratisches Haus“ und bezieht sich auf die klare, rechteckige Form des Tempels. Der Tempel wurde zu Beginn des 1. Jahrhunderts n. Chr., möglicherweise auf Veranlassung von Marcus Vipsanius Agrippa, errichtet. Er war den Söhnen Agrippas gewidmet und zählt zu den am besten erhaltenen Anlagen dieser Art im gesamten Gebiet des Römischen Reiches. Die Maison Carrée diente als religiöses Zentrum der Stadt Nîmes und symbolisierte die enge Verbindung zwischen der römischen Stadtverwaltung und dem Kaiserkult.

Maison Carrée in Nîmes

Architektonisch ist die Maison Carrée ein typischer pseudoperipteraler Tempel: Die Vorderseite ist mit korinthischen Säulen gestaltet, während an den Seiten und im hinteren Bereich angedeutete Säulen zu sehen sind. Die Fassade beeindruckt durch ihre harmonische Eleganz und die detailreiche Verzierung des Giebels.


„Wir nahmen als Vorbild das sogenannte Maison Carrée in Nîmes — eines der schönsten, wenn nicht sogar das schönste und kostbarste architektonische Überbleibsel, das uns aus der Antike erhalten geblieben ist. … es genießt die Zustimmung aller Architekturkenner … und steht den schönen Monumenten in Griechenland, Rom, Palmyra und Baalbek in nichts nach.“

Thomas Jefferson, Extract from Thomas Jefferson to James Madison, 20 September 1785


Maison Carrée in Nîmes

Im Laufe der Jahrhunderte hatte die Maison Carrée verschiedene Funktionen. Im Mittelalter wurde sie beispielsweise als Kirche genutzt, später diente sie als Lagerraum. Heute ist sie ein Museum und zählt zu den bedeutendsten Sehenswürdigkeiten von Nîmes, die Besuchern einen direkten Einblick in die Baukunst und Geschichte der Römer bieten.

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Die Maison Carrée ist ein hervorragendes Beispiel für einen klassischen augusteischen Podiumstempel. Charakteristisch für diesen Tempeltyp ist der erhöhte Kultraum, der sich auf einem fast drei Meter hohen Podium befindet. Durch diese markante Erhöhung wird die Bedeutung des Heiligtums betont und gleichzeitig eine deutliche Trennung zwischen dem sakralen Bereich und dem umgebenden öffentlichen Raum geschaffen. © Bild: Alban-Brice Pimpaud - archeo3d.net : Forum et Maison Carrée


Porte d'Auguste

Ein zum Teil noch erhaltenes Stadttor (Porte d'Auguste) markiert die Stelle, an der die Via Domitia in die Stadt mündete.

Ein zum Teil noch erhaltenes Stadttor (Porte d'Auguste) markiert die Stelle, an der die Via Domitia in die Stadt mündete. ©Bild: Wikimedia Commons

Das Amphitheater

Das Amphitheater von Nîmes, auch bekannt als Arènes de Nîmes, ist eines der besterhaltenen römischen Amphitheater weltweit und ein beeindruckendes Zeugnis antiker Baukunst. Es wurde im 1. Jahrhundert nach Christus, vermutlich unter Kaiser Augustus oder Kaiser Claudius, errichtet und diente ursprünglich als Austragungsort für Gladiatorenkämpfe und andere öffentliche Veranstaltungen. Das Bauwerk fasst etwa 24.000 Zuschauer und beeindruckt durch seine elliptische Form sowie die zwei Stockwerke mit insgesamt 60 Bögen, die von zahlreichen Säulen und Arkaden getragen werden. Die Mauern bestehen aus massivem Kalkstein, der dem Amphitheater seine charakteristische helle Farbe verleiht. Dank seiner robusten Bauweise ist es bis heute nahezu vollständig erhalten geblieben. Im Mittelalter wurde das Amphitheater teilweise als Festung und sogar als Wohnraum genutzt, was zu seiner außergewöhnlichen Erhaltung beitrug.


BILDNACHWEIS

 

  • Nîmes antique. Vue du forum et de la Maison Carrée : © Alban-Brice Pimpaud - acheo3d.net
  • Castellum Divisorium : © Krzysztof Golik Wikimedia Commons
  • Augusteum de Nîmes: © Alban-Brice Pimpaud - acheo3d.net
  • Augusteum de Nîmes: © Alban-Brice Pimpaud - acheo3d.net
  • Innenraum des Diana-Tempels in Nîmes (imaginäre Ansicht), von Hubert Robert (1771).
    ©
    Wikimedia Commons
  • Reconstitution du Temple de Diane, d’après Naumann: © Alban-Brice Pimpaud - acheo3d.net
  • Forum et Maison Carrée: © Alban-Brice Pimpaud - acheo3d.net
  • Porte d'Auguste: © Jan Hazevoet  Wikimedia Commons
  • Alle anderen Bilder: © Kavalierstour. 

 

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Nimes Maison Carree



BUCHEMPFEHLUNGEN

 

  • Peter Brannath: Der Aquädukt. Die Geschichte vom Bau des Aquädukts von Ucetia (Uzès) nach Nemausus (Nîmes) und seinem berühmten Teilstück, dem Pont du Gard. Schillinger (2011)
  • Pierre Gros: Gallia Narbonensis: Eine römische Provinz in Südfrankreich. Zabern (2008)
  • Anne Roth-Congès: Glanum. Vom kelto-ligurischen Oppidum zur gallo-römischen Stadt. Éditions du patrimoine (2012)
  • Raymond Chevallier: Römische Provence: die Provinz Gallia Narbonensis. Atlantis (1979)
  • Helga Botermann: Wie aus Galliern Römer wurden. Leben im Römischen Reich. Klett-Cotta (2005)
  • Bert Freyberger: Südgallien im 1. Jahrhundert v. Chr. Phasen, Konsequenzen und Grenzen römischer Eroberung. Steiner (1999)
  • Thorsten Droste: DuMont Kunst Reiseführer Provence: Antike Arenen, romanische Kreuzgänge, Städte mit Geschichte. Eine Reise durch Frankreichs Sonnenprovinz (2011) 
  • Ulrike Klugmann: HB Kunstführer, Nr.36
  • Edwin Mullins: Roman Provence: A History and Guide. Signal Books (2011)
  • James Bromwich: The Roman Remains of Southern France: Routledge (1996)
  • Meike Droste: Arles: Gallula Roma - Das Rom Galliens. Zabern (2003)