ORIGINAL VERSUS REKONSTRUKTION
In der Architektur und Denkmalpflege steht man ganz allgemein der erneuten Errichtung eines nicht mehr existierenden Gebäudes sehr kritisch gegenüber. Für die Rekonstruktionsgegner, denen es vornehmlich darum geht, das historische Original, so wie es ist, zu schützen und der Nachwelt zu erhalten, stellen diese Nachbauten also lediglich Kulissen dar, die bestenfalls zu einer Verklärung der Vergangenheit führen, im schlimmsten Fall aber zu einer Untergrabung eines authentischen Geschichtsbewusstseins beitragen können. Auf der anderen Seite sprechen zahlreiche Gründe dafür, antike Gebäude und Gegenstände im Maßstab 1:1 zu errichten. Die Rekonstruktionen werden nämlich nicht ausschließlich mit dem Ziel errichtet, den Besuchern ein möglichst authentisches, dreidimensionales Bild von den damaligen Lebensumständen zu vermitteln. Sie sind auch unverzichtbarer Bestandteil der experimentellen Archäologie.
Bei der mitunter ziemlich lebhaft geführten Debatte darüber, ob man solche Reproduktionen an den Originalstandorten errichten soll, stehen sich Befürworter und Gegner häufig unversöhnlich gegenüber. Auf der einen Seite findet man Kulturtouristiker, Museumspädagogen aber auch sehr viele Archäologen, die leidenschaftlich dafür eintreten, derartige Bauwerke auf der Basis des neuesten Forschungsstands errichten zu dürfen. Auf der Seite der Gegner finden sich hauptsächlich Architekten, Denkmalpfleger und Kunstwissenschafter, die ihrerseits wieder gewichtige Gründe anführen, warum man dies gefälligst unterlassen sollte.
Teilrekonstruktion des Palastes von Knossos: Der englische Archäologe Arthur Evans errichtete einige Teile des Palastes neu. Dabei verwendete er Materialien, die zur Zeit der Erbaung noch nicht bekannt waren.
© Bild: Wikimedia Commons
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Pro- und Contra-Argumente im Überblick
Beide Vermittlungsformen – die Präsentation von Originalen und die Darstellung von Rekonstruktionen antiker Gebäude und Gegenstände – haben zweifellos ihre Vor- und Nachteile und haben - sofern sie qualitätsvoll gemacht sind - durchaus ihre Berechtigung. Sehen wir uns die jeweiligen Standpunkte einmal genauer an.
ANMERKUNGEN
(1) Clemens Kieser:
Wie lange dauert der neue Glanz der Werke? – Von der Obszönität der Rekonstruktion. Vortrag anlässlich des Symposiums «Nachdenken über Denkmalpflege» (Teil 6): «Denkmale nach unserem Bild? Zu Theorie und Kritik von Rekonstruktion», Bauhaus Dessau, 31. März 2007. In: kunsttexte.de
(2) Bernhard Schulz:
Rekonstruktion: Wie zerronnen, so gewonnen. Artikel im Tagesspiegel . 29.07.2010
BILDNACHWEIS
- Titelbild: Stoa des Attalos in Athen. © Kavalierstour
- Teilrekonstruktion des Palastes von Knossos: Westbastion mit Relieffresko eines Stieres in einer Ölbaumlandschaft in Knossos , Kreta, Griechenland. Von: Olaf Tausch - Eigenes Werk.
- © Wikimedia Commons
- Mausoleum des Theoderich in Ravenna: © Kavalierstour
- Haus des Lucius in der Römerstadt Carnuntum: © Kavalierstour. Mit freundlicher Genehmigung der Römerstadt Carnuntum
CARNUNTUM
SAALBURG
XANTEN
VILLA BORG
HECHINGEN-STEIN
BUCHEMPFEHLUNGEN
- Robert Schediwy: Rekonstruktion: Wiedergewonnenes Erbe oder nutzloser Kitsch? LIT (2011)
- Andreas Roser: Wie zählt man Wolken?: Philosophische Probleme der Wahrnehmung. BoD (2015)
- Karl Herold: Konservierung von archäologischen Bodenfunden. Böhlau (1994)
- H. G. Wunderlich: Wohin der Stier Europa trug. Rowohlt (1972)
- Anita Rieche: Von Rom nach Las Vegas: Rekonstruktionen antiker römischer Architektur 1800 bis heute. Reimer (2012)
- Johannes Habich (Hrsg.): Denkmalpflege statt Attrappenkult: Gegen die Rekonstruktion von Baudenkmälern. Birkhäuser (2010)
- Achim Hubel: Denkmalpflege: Geschichte – Themen – Aufgaben. Eine Einführung. Reclam (2011)