Im Verlauf des 5. Jahrhunderts v. Chr. gewann in der griechischen Welt zunehmend die Vorstellung an Kontur, dass diese vier Wettkämpfe nicht bloß einzelne regionale Feiern waren, sondern zusammen als ein überregionales Netzwerk von Kranzagonen, das heißt panhellenischen Wettkämpfen, bei denen die Sieger keine materiellen Preise, sondern symbolische Ehrenkränze erhielten, wahrgenommen wurden.
Diese graduelle Herausbildung eines gemeinsamen Bewusstseins lässt sich aus dem Zusammenspiel literarischer, epigraphischer und archäologischer Zeugnisse erschließen. Zu den wichtigsten literarischen Belegen zählen die Preislieder des griechischen Dichters Pindar auf Sieger griechischer Agone, die zwischen 500 und 445 v. Chr. entstanden sind und ab dem 3./2. Jahrhundert v. Chr. als Sammlung gemeinsam tradiert wurden. Auch Autoren wie Herodot (5. Jh. v. Chr.) und Pausanias spiegeln die Vorstellung von Spielen mit panhellenischer Bedeutung wider. Epigraphische Quellen stützen ebenfalls diese Sicht: Inschriften aus Olympia, Delphi, Isthmia und Nemea führen Siegerlisten, Widmungen und Ehrenbeschlüsse an, die die Teilnahme und Anerkennung von Athleten aus weit entfernten Poleis dokumentieren. Besonders aussagekräftig sind Urkunden und Dekrete zur Ekecheiria (der heiligen Waffenruhe), die für die Dauer der Agone überregionale Ordnung und Schutz beanspruchten und so den gemeinsamen Charakter der Veranstaltungen verstärkten. Archäologische Befunde ergänzen das Bild: Monumentale Stiftungen, Tempelbauten, Altäre, Votivgaben und Siegesdenkmäler an den Austragungsorten zeigen, dass die Heiligtümer Besucher und Gönner aus vielen Regionen anzogen und dass die Erfolge der Athleten dauerhaft sichtbar gemacht wurden.
Zusammengenommen belegen diese Quellen eine allmähliche Institutionalisierung: Aus vormals lokalen Heiligtumsfesten entwickelte sich im klassischen 5. Jahrhundert ein als zusammengehörig wahrgenommenes Repertoire panhellenischer Kranzagone.
Bildtitel
Das Schatzhaus der Athener in Delphi: Das kleine, in der Form eines Antentempels nach dorischer Ordnung errichtete Gebäude wurde von den Athenern als Fremdstiftung im Heiligtum des Apollon errichtet. Es diente dazu, Votivgaben und reiche Opfer zu präsentieren und verdeutlicht die panhellenische Dimension der Spiele.
Button
Bildtitel
Das Philippeion in Olympia: Dieses monumentale Rundbauwerk wurde von Philipp II. von Makedonien errichtet, um seine Familie und dynastische Macht zu ehren. Als Fremdstiftung im Heiligtum von Olympia verdeutlicht es die überregionale Bedeutung der Spiele.
Button
Neben den vier großen panhellenischen Kranzagonen entwickelten sich in vielen griechischen Städten auch lokale oder regionale Spiele, die häufig einem bestimmten Gott oder Heiligtum gewidmet waren. Besonders bekannt sind die
Panathenäen in Athen, deren früheste Hinweise bis ins 8. Jahrhundert v. Chr. zurückreichen. Ab dem 6. Jahrhundert v. Chr. lassen sie sich als regelmäßig gefeiertes städtisches Fest rekonstruieren, während die Großen Panathenäen ab dem 5. Jahrhundert v. Chr. einen fast panhellenischen Charakter mit Sport-, Musik- und Kulturwettbewerben entwickelten. Weitere Beispiele lokaler Agone sind die
Eleusinischen Spiele in Eleusis, die
Karneia in Sparta sowie die
Thesäischen Spiele in Theben. Diese Feste hatten vor allem eine regionale Bedeutung, boten aber ähnliche Wettkämpfe und Zeremonien wie die panhellenischen Spiele.
Zyklus, Ehrungen und Wettkampfprogramm
Die Einteilung der Teilnehmer nach Altersklassen entwickelte sich allmählich. Zunächst bildeten die
erwachsenen Männer (andres) die zentrale Wettkampfklasse. Ab der 37. Olympiade (632 v. Chr.) sind erstmals auch
Knabenwettbewerbe (paides) belegt. Später kam mancherorts eine dritte Gruppe, die
ageneioi („Bartlosen“) – junge Männer im Übergangsalter – hinzu. Ob ein zwei- oder dreigeteiltes System galt, variierte je nach Austragungsort und Epoche.
Die Sieger erhielten ortstypische Ehrenkränze: in Olympia einen Olivenkranz, in Delphi einen Lorbeer, in Nemea einen Kranz aus wildem Sellerie und in Isthmia ursprünglich eine Kiefer- oder Pinienkrone. Diese Preise besaßen hohes symbolisches Prestige, denn sie standen nicht nur für sportliche Höchstleistung, sondern auch für Tugend, Tapferkeit und die Nähe zu den verehrten Göttern. Wer sie errang, genoss großen Respekt und Ansehen, was seinen sozialen Rang in der Heimatstadt deutlich erhöhte und der Polis insgesamt Ruhm und Ehre brachte. Die Teilnahme an den Spielen war freiwillig, und sowohl Siege als auch Niederlagen hatten Konsequenzen: Ein Triumph stärkte die Reputation der Polis, ein Scheitern hingegen konnte Schande bringen und das Ansehen der Stadt beeinträchtigen.
Olympia und die Olympischen Spiele
Die Olympischen Spiele bestanden vor allem aus sportlichen Agonen: dem Stadionlauf (eine Stadionlänge), dem Diaulos (Doppelstade, etwa 400 m), dem Dolichos (Langstrecke), Ringen (pale), Faustkampf (pygmachia), Pankration und dem Pentathlon (Stadionlauf, Diskuswurf, Speerwurf, Weitsprung und Ringen). Vor allem die hippischen Wettbewerbe – die spektakulären Wagen- und Pferderennen – galten als besonders prestigeträchtig. Musische Wettbewerbe spielten in Olympia eine deutlich geringere Rolle als etwa in Delphi.
Als sichtbares Zeichen des Sieges erhielten die Sieger keinen materiellen Preis, sondern einen Olivenkranz (kotinos), gewunden aus Zweigen der heiligen wilden Olive im Zeus-Hain (Altis). Ihr Ansehen in der Heimat war jedoch außerordentlich und brachte ihnen häufig hohe Ehrungen ein. Der Ruhm der Spiele gründete sich nicht nur auf den sportlichen Wettkampf, sondern auch auf ihre religiöse und politische Bedeutung für die gesamte griechische Welt.
Delphi und die Pythischen Spiele
Die Pythischen Spiele begannen ursprünglich als musische Wettbewerbe; Gesang, Instrumentalmusik und Dichtkunst standen im Mittelpunkt. Um ca. 582 v. Chr., im Gefolge des Ersten Heiligen Krieges und der Neuordnung Delphis, ließ Kleisthenes von Sikyon das Fest neu ordnen: Die Pythien wurden regelmäßig im Vierjahresrhythmus gefeiert und um gymnische Wettkämpfe (Lauf-, Ring- und ähnliche Disziplinen) sowie hippische Agone ergänzt. Die Wagen- und Pferderennen fanden auf der Crissaeischen Ebene — der flachen Zone zwischen der alten Stadt Krissa am Parnassos und dem Küstenort Cirrha — statt. Für die Wagenrennen waren dort Rennstrecken angelegt; diese hippischen Agone zogen große Aufmerksamkeit auf sich und galten als besonders prestigeträchtig. Trotz der Erweiterung behielten die musischen Wettbewerbe in Delphi noch lange Zeit ihr besonderes Gewicht.
Nemea und die Nemeischen Spiele
Hauptheiligtum war das Zeusheiligtum von Nemea mit seinem dorischen Tempel. Die Nemeischen Spiele umfassten von Beginn an vor allem sportliche Wettbewerbe. Die hippischen Agone fanden auf Rennstrecken in der Nähe des Heiligtums statt. Das antike Stadion von Nemea liegt etwa 450 Meter südöstlich des Zeus-Heiligtums und wurde zwischen 330 und 320 v. Chr. erbaut. Es diente bis 271 v. Chr. als Austragungsort der Spiele. Das Stadion misst rund 170 Meter in der Länge und etwa 30 Meter in der Breite und bot Platz für mehrere Tausend Zuschauer, die hier spannende sportliche Wettkämpfe verfolgen konnten. Die Nemeischen Spiele umfassten vor allem die klassischen Sportwettbewerbe der Antike. Dazu gehörten Laufdisziplinen wie der Stadionlauf, der Diaulos, der Langstreckenlauf (Dolichos) und der Hoplitodromos – ein Lauf in voller Rüstung. Außerdem wurden Kampfdisziplinen wie Boxen, Ringen und Pankration ausgetragen. Ergänzt wurden die Wettbewerbe durch Wurfdisziplinen wie Diskus- und Speerwurf sowie teilweise Bogenschießen. Die Sieger erhielten als einzigen materiellen Preis einen Kranz aus wildem Sellerie.
Isthmia und die Isthmischen Spiele
Die Isthmischen Spiele wurden zu Ehren des Poseidon Isthmios in Isthmia abgehalten. Sie fanden erstmals in der 49. Olympiade (584/580 v. Chr.) statt und wurden alle zwei Jahre unter der Aufsicht von Korinth veranstaltet. Ihre Ursprünge sind mythologisch: Pausanias berichtet, dass der mythische König Sisyphos hier Leichenspiele für Melikertes-Palaimon organisierte. Melikertes war ein Junge, der nach dem Sturz mit seiner Mutter ins Meer ertrank und danach als heroische Kultfigur verehrt wurde. Plutarch hingegen gibt an, dass Theseus die Spiele stiftete.
Das Heiligtum des Poseidon bildete das religiöse Zentrum der Spiele. Der älteste Tempel wurde zwischen 670 und 650 v. Chr. errichtet und zählt zu den frühesten Tempeln der griechischen Architektur. Nach einem Brand 470/460 v. Chr. wurde er durch einen steinernen dorischen Tempel ersetzt, der im Jahr 390 v. Chr. erneut durch Feuer beschädigt und anschließend wiederaufgebaut wurde.
BILDNACHWEIS:
- Marie-Lan Nguyen: Foul pankration at Kylix by the Foundry Painter BM VaseE78. © Bild:
Wikimedia Commons
- Holger Uwe Schmitt: Als Mittelpunkt der Welt" galt Delphi für die Menschen der Antik. © Bild:
Wikimedia Commons
- Zde: Archaeological site of Isthmia, Stadium. © Bild:
Wikimedia Commons